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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Ralf Turtschi Anfang Juli zieht es mich alljährlich zu mehrtägigen Touren in die Berge. Wandern ist meditatives Zurruhekommen – mit stetigem Tritt auf- und abwärts schöpfe ich Kraft, das farbenprächtige Meer der Alpenflora lässt meine Gedanken ungehindert fliessen. Freie Gedanken sind jedoch gefährlich, wie man in der Zeitung lesen kann – tatsächlich sind Wanderunglücke im Zunehmen begriffen. Auf steilen und ausgesetzten Bergpfaden braucht es neben Trittsicherheit das entsprechende Schuhwerk, und man sollte sich aufs Wesentliche konzentrieren, möglichst Multi­media im Rucksack lassen.

Bei der Planung einer Trekkingtour ist das Geländeprofil matchentscheidend. Sind es zu viele Höhenmeter und/oder Distanzkilometer, dann wird der Planer unbarmherzig zur Rechenschaft gezogen. Man kann die Belegschaft dann nicht einfach zu Überstunden überreden, nicht einfach den Bettel hinschmeissen. Beim Wandern ist es wie in unserer Branche: Wenn die Leittiere versagen, muss die Herde bluten.

Das Geländeprofil bestimmt das entsprechend profilierte Schuhwerk, welches auch bei Nässe auf Schotter und Fels Halt bieten muss. Der Speedkletterer, der Wanderer und der Glaziologe brauchen andere Profile.

Mit Profilen – Sie werden jetzt staunen –beschäftigen sich auch Publisher! Ja, ja, in unserer Branche gibt es manchen Workflow, welcher mit irgenwelchen Profilen locker behindert werden kann. Es scheint nur natürlich, dass der Web-Publisher mit anderen Profilen unterwegs ist als der Multimediagestalter. Im Profilsalat von ISOcoated_v2_eci bis Coated Fogra 27–39 ff. zeigen sich Dutzende von Profilen, die Adobe partout nicht aus den Programmen ausblenden mag. Ich erwarte, dass einer der beiden Branchenverbände im Rahmen ihres Vormachtkampfes noch 2011 das Label «swissProfile» kreiert, bevor sich die deutsche Fogra das Zertifizierungsgeschäft ganz unter den Nagel reisst.

Wie es scheint, besteht das Schuhwerk des einen Verbandes aus Badelatschen, anders kann ich mir die Flips und Flops rund um die Grundbildung nicht erklären. Ein neues Müsterchen? Die PBS (Paritätische Berufsbildungsstelle, zusammengesetzt aus Viscom- und Gewerkschaftsvertretern, www.pbs-opf.ch) hat beim EHB (Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung) eine Studie in Auftrag gegeben. Ziel ist, u. a. herauszufinden, wie weit die beiden Berufe Polygraf und Multimediagestalter vereint werden können. Der Multimedia­gestalter ging 2002 an den Start. Bis heute wird er erst an Vollzeitschulen in Freiburg, Lausanne und Genf angeboten. Was liegt näher, als Multimedia in der gros­sen Badewanne des eher unterdotierten Polygrafen aufzunehmen? Die Bedürfnisse und praktischen Tätigkeiten der Berufsbildner sowie der Lehrlinge im 3. und 4. Lehrjahr wurden am 30. Mai mit einem Onlinefragebogen erhoben. Wohlgemerkt: Das EHB hat keinerlei Berufskenntnisse. Wir Praktiker durften stimmige Voten im Multiple-Choice-Verfahren abgeben. Eine Frage war zum Beispiel: «Was halten Sie von der Zusammenlegung beider Berufe?» Leider habe ich nicht den geringsten Schimmer, was der Beruf Multimediagestalter beinhaltet. Im Fragebogen besteht keine Möglichkeit, mit «Ich weiss nicht» zu antworten, man kann nur zustimmen, teilweise zustimmen oder nicht zustimmen. Dann werden Fragen zur Häufigkeit von Tätigkeiten aufgeworfen, beispielsweise wie oft ­«Corporate Design» in einer Häufigkeitsskala von mehrmals täglich (fünf Ausrufe­zeichen!!!!!) bis einmal jährlich geleistet würde. Diese Bildungsszenerie ist schlicht und einfach grandios, ich staune mit offenem Mund. Der Begriff «CD» ist allerdings etwas unpräzise – vom Umsetzen eines Visitenkärtchens nach CD-Vorschriften bis hin zur Entwicklung eines komplexen Erscheinungsbildes liegt alles drin. Kleiner Lapsus halt.

Meine Stimmung steigt bei der Frage: «Ist Datenerfassung in der Ausbildung angemessen oder zu wenig vertreten?» Selbstredend ohne zu formulieren, was mit Datenerfassung gemeint ist: scannen, fotografieren, Datenübernahme, Automatisierung, Text erfassen? Der methodische K.-o.-Schlag kommt in der Mitte des Fragebogens. Der Polygrafen-Berufsbildner muss sich gleichartige Fragen über den Beruf Multimediagestalter gefallen lassen, die er mangels Wissen nicht beantworten kann, es fehlen die Grundlagen: kein Lehrplan, kein Modelllehrgang, kein Bildungsplan, kein Fachwissen. Ein Button «Keine Antwort» existiert nicht, «Weiter» ist nur aktiv, wenn ich alle Fragen beantwortet habe. Ich bin selbst bei Nichtwissen gezwungen, irgendeine Antwort zu geben. Ich habe nachgefragt, beim Viscom-Direktor persönlich, beim EHB, und Uneinsichtigkeit angetroffen. Ich bin an einer einfachen Onlineumfrage gescheitert, nur weil ich nicht lügen mag.

Das Profil des Fragebogens kommt doch eher dem Flipflop näher als dem Bergschuh. Wissenschaftlich korrekt erhobener Mist bleibt eben immer noch Mist. Man fragt sich, ob die permanente Unruhe in der Bildungslandschaft mit ein bisschen mehr Sachverständnis nicht vermeidbar wäre. Die Bildungslandschaft und die Ideen der Leittiere mit dem Fachwissen eines nassen Topflappens klaffen je länger je weiter auseinander.

Aus Photoshop weiss ich: Wenn man eine Badelatsche multimedial auseinanderzieht, wird das Profil immer flacher. Ich wünsche Ihnen einen profilierten Bergsommer.

* Sch steht für Kuh- und Ziegendung. Die Formatierung spielt keine Rolle: Mist bleibt Mist.